Eindeutig zweideutig

von Starkat


Sie wollte nur noch in die Wohnung, sich hinsetzen und erst einmal ausruhen. Die Reise war sehr lange gewesen und das viele Umsteigen und Schleppen ihres schweren Gepäcks über die Bahnsteige hatte sie sehr erschöpft. Schließlich war sie - auch wenn sie es sich nicht gerne eingestehen wollte - nun nicht mehr die Jüngste.

Zwar hatte es das Leben gut mit ihr gemeint und sie war trotz ihres Alters noch sehr schön und selten krank gewesen. Doch nun begannen sich langsam die ersten kleinen Wehwehchen zu melden, was sie aber - so lange es ging - versuchte, zu ignorieren. Oft schon hatten Freunde und Bekannte ihr geraten, sie solle doch ihrer Gesundheit zu liebe etwas kürzer treten. Doch das Reisen war ihr Leben, ihr Glück. Immer auf der Suche nach spiritueller Erleuchtung, nach dem Sinn des Lebens, war sie in der ganzen Welt zu Hause gewesen und kannte fast jedes Kloster, jeden Tempel, jedes Heiligtum, das sie in all den Jahren mit ihrem Sohn besucht hatte, in- und auswendig.

Nein. - Sie konnte nicht wie er einfach sesshaft werden und ein bürgerliches Leben führen. - Ein Leben ohne neue Erfahrungen, ohne den Reiz des Neuen? Das wäre für sie wie der Tod gewesen. Und doch verstand sie ihren Jungen, den sie, so oft es ihr möglich war, besuchte. Hier, in dieser trostlosen Welt aus grauem, kaltem Beton, hatte er sich nach dem unfreiwilligen Ende seiner wissenschaftlichen Karriere - an dem sie wegen ihrer Naivität und ihres Übereifers nicht gerade unschuldig gewesen war - eine neue Existenz als Polizeibeamter aufgebaut.




Der Lift hielt in der dritten Etage des ehemaligen Lagerhauses der Prospect 852. Naomi bückte sich, schulterte ihre große Reisetasche, griff nach ihrem Rollkoffer und zog ihn den kurzen Gang bis zur Wohnungstür mit der Nr. 307 hinter sich her.

Hier wohnten sie nun schon seit einigen Jahren zusammen, die zwei wichtigsten Männer in Naomi Sandburgs Leben - Ihr Sohn, Detective Blair Jakob Sandburg, und dessen Freund und Kollege Detective James Joseph Ellison.

Jim mochte Blairs Mutter sehr. Sie verwöhnte ihn und seinen Freund und Mitbewohner immer mit ihren zwar etwas exotischen, aber durchaus oft überraschend guten Kochkünsten. Sie und ihr Sohn teilten diese Begeisterung und das Talent für die Zubereitung ausgefallener Gerichte, was jedoch schon manches Mal mit unangenehmen Folgen für den Sentinel geendet hatte, wenn er auf einige der Zutaten allergisch reagierte.

Doch dieses Mal, so war sich Naomi sicher, würde dies nicht passieren. Sie wollte Blairs Lieblingsgericht - Zunge - kochen. Auch Jim würde es bestimmt schmecken. Es sollte eine kleine Überraschung werden. Nach dem Dinner würde Jim sie dann sicher zu ihrem Hotel fahren.

Mit diesem Gedanken holte sie ihr Schlüsselbund aus der Jackentasche und griff nach dem Türknauf, um aufzuschließen, als sie ein leises, aber doch sehr wohliges Stöhnen hörte. Es schien aus dem Inneren des Lofts zu kommen.

War etwa doch jemand zu Hause? Sie hielt inne und lauschte ein paar Sekunden. - Da... da war es schon wieder zu hören...

"Aahh, ...mhm, ja... weiter....tiefer...fester... aahh..."

// Jim? //, dachte Naomi etwas überrascht, als sie die Stimme zu erkennen glaubte, und sah dann auf ihre Armbanduhr.

Sie hatte nicht damit gerechnet, einen der beiden Loftbewohner um diese frühe Stunde hier anzutreffen. Und allem Anschein nach hatte Jim gerade einen sehr angenehmen Besuch in seiner Wohnung. Da konnte sie jetzt unmöglich stören.

// Na gut. //, seufzte Naomi und steckte den Schlüssel wieder ein. // Dann geh´ ich doch zuerst ins Hotel und komme später wieder. //

Sie hatte gerade ihren Koffer wieder in die Hand genommen, auf dem Absatz kehrt gemacht und wollte wieder zum Lift gehen, als sie eine zweite, ihr durchaus sehr vertraute Stimme hinter der Tür kichern hörte.

"Oh Gott, Jimmy…Ich will dir nicht weh tun…", keuchte die andere Stimme.

// Blair? // , schluckte Naomi und blieb wie vom Blitz getroffen stehen. // Das ist doch unmöglich! Nein! Ich muss mich verhört haben. Das kann einfach nicht sein!... Oder etwa doch? //, dachte sie ungläubig, als ihr gleichzeitig die verrücktesten Vorstellungen durch den Kopf rasten.

- Wie ihr Sohn und dessen Freund einander liebten... Zwei erhitzte, ineinander verschlungene Körper, die sich wild küssend und vor Erregung zitternd aneinander schmiegten.

Vergeblich versuchte sie, diese Bilder aus ihren Gedanken zu verscheuchen. Kopfschüttelnd stand sie nun da und überlegte. Sollte sie es vielleicht doch wagen, und einen Blick ins Loft riskieren? - Nur einen kleinen, winzigen Blick...




"Autsch!… Nicht so grob!... Das tat verdammt weh, Blair!….", fluchte Ellison.

"Sorry, Mann. Aber solltest du deine Sinne nicht etwas herunterfahren, Jim? Ich hatte dich doch vorher gewarnt, oder?", ermahnte ihn sein Guide in leicht beleidigtem Ton. // Warum macht der sture Kerl denn nicht einfach das, was man ihm sagt? //

"Hör mal, Jim, ich will dir nicht gleich zuviel zumuten. Meinst du, du hältst es noch etwas aus, oder sollen wir lieber für heute aufhören?", fragte Blair leise und etwas besorgt.

"Nein, bitte nicht aufhören! Es fühlt sich so gut an, Chief. Bitte, mach weiter.", flehte Ellison seinen Freund an, der es sichtlich genoss, dass der Sentinel auch einmal zeigte, wie sehr er seinen Guide brauchte.

"Also gut… Aber dieses Mal hörst du auf das, was ich dir sage, okay?", grinste Blair seinen Freund an.

Die beiden waren so sehr miteinander beschäftigt gewesen, dass keiner von ihnen bemerkte, wie die Eingangstür leise aufgeschlossen und langsam geöffnet wurde.




Vorsichtig versuchte Naomi durch den Spalt etwas zu erkennen. Doch von den beiden Männern war nichts zu sehen. Sie musste also die Tür noch mehr öffnen, was sie auch leise und vorsichtig tat.

Nun war die Eingangstür des Lofts ganz auf und Mrs. Sandburg schlich hinein. Sie lauschte, um heraus zu finden, aus welcher Richtung die Stimmen kamen.

"Mhm,…Was würde ich nur ohne dich machen, Chief?", seufzte Jim und streckte sich, als die Hände seines Partners erneut sanft über die Seiten seines Oberkörpers strichen und ihm ein leichter, wohliger Schauer über den Rücken lief.

"Gefällt dir, was ich mit dir mache?", hauchte Blair in seinem beruhigenden Tonfall.

"Und wie…", knurrte der Ältere der beiden in einem jetzt etwas tieferen Ton. Fast glaubte Naomi ein Geräusch wie das leise Schnurren einer Katze - einer, ihrer Vorstellung nach, sehr großen Katze - hören zu können.

// Sie müssen hinter dem Sofa sein. //, vermutete Blairs Mom und bewegte sich leise auf den Dreisitzer zu.

Dieser stand mit dem Rücken zur Eingangstür. Über der Lehne hing ein großes, kariertes Flanellhemd, das ihr sehr bekannt vorkam. Es war eines von denen, die eigentlich Jim gehörten, die aber auch Blair gerne öfter anzog.

Vorsichtig beugte sie sich vor und riskierte einen Blick über die Lehne, innerlich schon darauf gefasst das zu sehen, was sie sich bereits in ihren Gedanken ausgemalt hatte. Doch was sie sah, war alles andere als das, was sie vermutet hatte.

Der Tisch war zur Balkontür hin geschoben worden. Jim lag - nur mit seinen schwarzen Pants bekleidet und einem großen Badetuch über seinen Beinen - bäuchlings auf einer Decke und hatte ein Kissen unter dem Kopf. Er hatte seine Arme angewinkelt, die Hände seitlich neben seinen Kopf gelegt und die Augen geschlossen.

Blair saß auf den Oberschenkeln seines Freundes und rieb dessen Rücken mit einer Salbe gegen Sportverletzungen ein. Um sein Hemd nicht zu beschmieren, hatte er es ausgezogen und über die Lehne des Sofas gehängt. Seine Haare hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, aus dem sich jedoch schon ein paar Strähnen wieder gelöst hatten, was ihn etwas zerzaust aussehen ließ.

"Mom?...", rief Blair erschrocken, als er seine Mutter bemerkte und sprang auf, wobei er sich auf Jim abstützte.

"Autsch! Mensch, pass doch auf, Chief! Du brichst mir ja noch das Kreuz!", schrie Ellison auf, stürzte sich auf seine Ellbogen und drehte den Kopf mit schmerzverzerrtem Gesicht in Richtung Sofa.

"Naomi?...", blinzelte er sie überrascht an. Wieso hatte er sie vorher nicht bemerkt? Hatte er sich durch Sandburg wirklich so sehr ablenken lassen?

"Ja, so heiß ich!", lächelte sie etwas verlegen und seufzte leise, sichtlich erleichtert, die beiden nun doch nicht bei etwas anderem erwischt zu haben.

"Jim hat beim Training wieder mal übertrieben und sich den Rücken gezerrt. Deshalb die Salbe...", erklärte Blair ihr, als sie seiner Umarmung und damit auch den mit Creme verschmierten Händen auswich.

"Verstehe...", lächelte sie erneut.

"Warum hast du denn nicht angerufen, dass du kommst? Dann hätten wir dich abgeholt.", wollte Ellison wissen.

"Nun, ich wollte euch beide zur Feier des Tages heute mit einem kleinen Dinner überraschen. Ich dachte nicht euch zwei so früh zu Hause anzutreffen.", erklärte sie ihren Besuch.

Die beiden Detectives sahen sich fragend gegenseitig an. Was gab es denn an diesem Tag zu feiern?

"Also Jungs, wirklich! Muss ich euch denn schon so auf die Sprünge helfen? Heute vor einem Jahr hat Blair doch seine Prüfung zum Detective bestanden.", erinnerte Naomi die zwei Männer.

"Und wir haben das auch noch glatt vergessen... Sorry, Blair. Ich glaube, ich werde langsam alt.", entschuldigte sich Jim und wurde leicht rot.

"Quatsch, big Guy! Ich hab ja selbst nicht mehr dran gedacht, bei der vielen Arbeit, die wir in letzter Zeit um die Ohren hatten, da kann das schon mal passieren."

"Darf aber nicht passieren, Chief!... Na, wenigstens hat Naomi daran gedacht.", lächelte Jim - immer noch auf dem Boden liegend - sie verlegen von unten herauf an.

"Stimmt. - Wisst ihr was? Ich zieh mich schnell an, fahre meine Mom ins Hotel und Jim macht sich in der Zwischenzeit auch fertig. Heute Abend gehen wir aus. Ich bezahle.", sagte Blair und griff schon nach seinem Hemd.

"Nein. Das ist nicht nötig, Junge.", winkte Naomi ab.

"Bleib du hier bei Jim und hilf ihm beim Anziehen. Wir treffen uns dann später."

"Wie du meinst, Mom.", erwiderte Blair.
"Wie wäre es bei *Giovanni´s* ? Sagen wir um acht?", fragte Sandburg und stelle sich so hin, dass Naomis Blick in Richtung Küche gelenkt wurde.

Dieses kurze Ablenkungsmanöver nutzte der Sentinel, um aufzustehen und sich das Handtuch um die Hüfte zu binden. Schließlich wäre es ihm sehr peinlich gewesen, hätte Blairs Mutter die deutliche Reaktion von Jims Körper auf diese sehr anregende Massage gesehen.

"Hört sich verlockend an, Sweetie…", stimmte sie zu.

"Willst du was trinken? Einen Tee vielleicht? Oder Wasser?", fragte Sandburg und deutete mit einem Wink auf den Kühlschrank hinter sich.

"Oh, nein danke, mein Schatz. Aber du könntest mir schon mal das Taxi rufen."

"Das erledige ich.", meldete Jim sich zu Wort und griff nach dem Hörer des schnurlosen Telefons, das neben ihm stand.




Eine viertel Stunde später kam das Taxi, um Naomi zu ihrem Hotel zu bringen. Die beiden Männer standen oben hinter der geschlossenen Balkontür und sahen dem Wagen hinterher, bis dieser am Ende der Strasse um die Ecke bog.

"Tut mir leid. Ich hatte ganz vergessen, dass ich ihr einen Schlüssel für die Wohnung gegeben hatte.", seufzte Blair, verschränkte die Arme vor seiner Brust und lehnte sich an Jim, der hinter ihm stand.

"He, das macht doch nichts, Blair. Ein Glück nur, dass deine Mom nicht schon gestern Abend hier hereingeplatzt ist.", grinste Jim und legte seine Arme um die Hüfte seines Freundes.

"Oder wie hättest du ihr dann die Sache erklärt, wenn sie uns dabei unter der Dusche erwischt hätte?", hauchte der Sentinel seinem Guide ins Ohr und grinste frech, was Sandburg durch die Reflexion im Glas der Balkontür sehen konnte.

"Das wäre so eindeutig gewesen, dass…Da hätte es nix mehr zu erklären gegeben, big Guy!", sagte Blair in nachdenklichem Tonfall.

Er stellte sich das überraschte Gesicht seiner Mutter vor und was für ein Schock es für sie sein würde zu erfahren, dass ihr Sohn mit seinem Freund und Partner Sex hatte.

Jim ahnte, was seinen Gefährten bedrückte und drehte ihn mit dem Gesicht zu sich um. Zwei große, blaue Augen sahen ihn erwartungsvoll und doch ängstlich an.

"Irgendwann müssen wir es ihr doch sagen, Blair…", lächelte er sanft.

"Ja, sicher…Aber was ist, wenn sie nicht versteht…", wich Sandburg dem Blick des anderen Mannes aus. Doch Jim legte eine Hand auf Blairs rechte Wange und drehte dessen Kopf wieder in seine Richtung.

"Sie wird es verstehen, luv… Glaube mir, bitte…Sie wird es verstehen."

Blair sah ihm tief in die stahlblauen Augen und lächelte. Dann umarmte er Jim und küsste seinen Sentinel.

"Ich liebe dich, James Joseph Ellison.", hauchte der Guide.

"Und ich liebe dich, Blair Jakob Sandburg.", erwiderte Jim. Er zog Blair fest an sich und küsste ihn leidenschaftlich.

Sie sanken auf die Decke, die noch immer auf dem Boden vor dem Kamin lag, und machten es sich gemütlich.

Und hätte jemand zu dieser Zeit sein Ohr an die Wohnungstür gelegt und gelauscht, so hätte er mit Sicherheit nicht nur die leisen Stimmen und Geräusche zweier Verliebter gehört, sondern auch das Heulen eines Wolfes und das wohlige Schnurren einer großen Katze.

*E*N*D*E*


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